Pilotprojekt: Experimentelle Untersuchung zum Infektionsrisiko in Klassenräumen in Stuttgarter Schulen

UNIVERSITÄT STUTTGART & IGTE

Im Hinblick auf die derzeit anhaltende SARS-CoV-2-Pandemie wurden von Januar bis
Juni 2021 jeweils ein bzw. zwei Klassenräume in zehn Schulen (Schwabschule, Gewerbliche Schule für Farbe und Gestaltung, Steigschule Bau 1, Steinbeisschule Hauptbau, Uhlandschule Neubau, Wilhelms-Gymnasium, Wilhelmsschule Wangen, Zeppelin-Gymnasium, Solitude-Gymnasium und Filderschule) der Stadt Stuttgart raumlufttechnisch untersucht.
Ziel dieser Untersuchung ist die Abschätzung eines Infektionsrisikos während des Unterrichts und die Identifikation geeigneter Maßnahmen zur Verringerung dieses Risikos
sowohl für LehrerInnen als auch SchülerInnen. Neben einer Fensterlüftung werden
auch RLT-Anlagen und mobile Luftreinigungsgeräte (ohne Außenluftanteil) analysiert.
Die konkrete Bewertung des Infektionsrisikos erfolgt durch quantitative Messungen der
Stoffausbreitung. Hierfür werden stichprobenartig an einem thermischen Personendummy Stoffe freigesetzt, welcher eine infektiöse Person repräsentieren soll. An
den umliegenden Personendummies werden die zeitlichen Verläufe der Konzentrationen dieses Stoffs erfasst.
Die beschriebenen Messungen in Kombination mit der Auswertung relevanter Studien
zur luftgetragenen Infektionsausbreitung ermöglichen eine Abschätzung des Infektionsrisikos bei einer bestimmten Personen-Belegungsdichte und bei verschiedenen
Maßnahmen (Fensterlüftung, Luftreinigungsgeräte und RLT-Anlagen).
In dieser Messkampagne werden nur Luftreinigungsgeräte mit Hochleistungsschwebstofffilter eingesetzt und getestet, da nicht ausreichend geklärt ist, welche Dosis an
UV-C zur Inaktivierung der Viren benötigt wird und der Einsatz von Ozon schädliche
Sekundärprodukte hervorrufen kann.
Jede der in diesem Bericht aufgeführten Maßnahmen kann einen Beitrag zur Senkung
des Infektionsrisikos leisten. Im Folgenden werden allgemeine Erkenntnisse in den
Kategorien Fensterlüftung, Luftreinigungsgeräte, RLT-Anlagen festgehalten:

Fensterlüftung
– Sowohl die Lüftungsstrategie 20/5/20, als auch 10/2,5/10 können das Infektionsrisiko erheblich senken.
– Die Dauerkipplüftung trägt zwar zur Verringerung der Wahrscheinlichkeit einer
Infektion bei, jedoch fällt dies geringfügiger aus als bei den Stoßlüftungsvarianten. Sie ist deshalb und aus energetischer Sicht nicht empfehlenswert.
– Das Lüften in den Pausen ist zwingend erforderlich, um die Aerosolkonzentration für den darauffolgenden Unterricht weitestgehend gegen null zu senken.
Bei ausreichender Fensterfläche ist dies bei Pausen um die 15-20 Minuten
möglich.

Luftreinigungsgeräte
– Je höher der geförderte Volumenstrom des Luftreinigungsgerätes ist, desto geringer der PIRA-Wert über eine bestimmte Expositionszeit (z.B. 90 Minuten).
Der Einsatz von Luftreinigungsgeräten in Kombination mit einer Fensterlüftung
wirkt sich positiv auf das Infektionsgeschehen aus.
– Luftreinigungsgeräte können das Senken der Aerosolkonzentration bei schlecht
belüftbaren Räumen unterstützen bzw. verbessern. Meist sind sie dabei wirksamer als die Stoßlüftung. Sie können das Lüften bzw. eine RLT-Anlage jedoch
nicht ersetzen, da kein CO2- und Feuchteabtransport stattfindet.
– Die vermessenen Luftreinigungsgeräte weisen bei Luftwechseln im Bereich nsekundär≈ 5…6 1/h höhere Schallwerte auf als nach VDI 2081 zulässig. Bei Senkung auf ca. nSekundär≈ 3 1/h kann der Schalldruckpegel bei vereinzelten Geräten
zwar in die Nähe des Grenzwertes bringen, allerdings steigt das Infektionsrisiko
in Klassenräumen an.
– Die Luftreinigungsgeräte zeigen sowohl bei hohen als auch bei geringeren Volumenströmen Zuglufterscheinungen an den jeweiligen Messpositionen, welche
die Akzeptanz der SchülerInnen und LehrerInnen gefährden könnten.
– Ein Luftreinigungsgerät mit einem Volumenstrom von 500-1.250 m³/h kann in
den Pausen die Aerosolkonzentration nicht gegen null senken. Es ist zusätzlich
zwingend eine Fensterlüftung notwendig.

RLT-Anlagen
– Auch bei RLT-Anlagen gilt, je höher der geförderte Volumenstrom der RLT-Anlage ist, desto geringer der PIRA-Wert über die Expositionszeit (90 Minuten).
– Die Klassenräume mit RLT-Anlagen weisen aufgrund der kontinuierlichen Betriebsweise bei einem Volumenstrom von 915 m³/h ein geringeres Infektionsrisiko gegenüber der Fensterlüftung auf.
– Die RLT-Anlagen weisen ein ähnliches Zugluftrisiko auf wie die Luftreinigungsgeräte. Dies ist jedoch wesentlich darauf zurückzuführen, dass der Zuluftquerschnitt dieser Anlagen in diesen Räumlichkeiten sehr klein gewählt ist. Hier
könnte eine nachträgliche Querschnittvergrößerung am Luftdurchlass Abhilfe
schaffen.
– Eine RLT-Anlage mit einem Volumenstrom von ca. 900 m³/h kann den Ausgangszustand ohne zusätzliche Fensterlüftung in der Pause nahezu wiederherstellen.
– Für die zukünftige Planung von RLT-Anlagen sollten die Luftströme höher dimensioniert werden, um die höchste Raumluftqualität in Klassenräumen zu erreichen.
Eine Reduzierung der Personenanzahl in einem Klassenraum ermöglicht selbst bei
gleichbleibender mittlerer Infektionswahrscheinlichkeit einen nahezu proportional ver-
ringerten Erwartungswert an Neuinfektionen. Der Einsatz von FFP2-Masken im Unterricht reduziert deutlich das Infektionsrisiko und ist eine sehr wirksame Maßnahme zum
präventiven Schutz.
Abschließend lässt sich festhalten, dass der Luftaustausch über Fenster eine sehr geeignete, einfach umzusetzende und kostengünstige Maßnahme ist, um Aerosolkonzentrationen im Klassenraum zu verringern. Hierbei sollte darauf geachtet werden,
dass Klassenräume über eine ausreichende nutzbare Fensterfläche verfügen.
Bei schlecht belüftbaren Räumen bieten sich Luftreinigungsgeräte mit Sekundärluftvolumenströmen ab 1.200 m³/h als unterstützende Maßnahme an.
Nachhaltige Lösungen sind raumlufttechnische Anlagen (RLT-Anlagen) mit analogen
Außenluftvolumenströmen (um 1.200 m³/h) und mit Wärmerückgewinnung, welche bei
richtiger Dimensionierung die Innenraumluftqualität (CO2, Feuchte, etc.) unabhängig
von den äußeren Bedingungen sicherstellen und die Lüftungswärmeverluste deutlich
reduzieren können.


(Quelle: UNIVERSITÄT STUTTGART & IGTE)